Neustart in Enslingen
Georg Michael Zürger, ledig von Gailenkirchen, erwirbt am 7. Februar 1865 zusammen mit seiner Verlobten Rosine Katharina Hofmann von Eltershofen ein Haus in Enslingen. Zuvor besorgt sich der Minderjährige den oberamtlichen Dispensationsschein, da ihm noch knapp drei Monate zur Volljährigkeit fehlen. Der Verkäufer der Liegenschaft, Michael Haag, ist Taufpate Zürgers. Familiär ist Michael Haag der Stiefbruder Michael Zürgers, des Vaters des Käufers . Michael Haag verkauft „mit Zustimmung seiner Ehefrau“ an Zürger, Gg. Michael von Gailenkirchen und dessen Verlobte Rosine Kath. Hofmann von Eltershofen sein gesamtes Anwesen auf Enslinger, Gaisdorfer und Geislinger Markung ohne Ausnahme für 1.900 Gulden“. Von des „Käufers Hochzeitstag“ tritt zudem der Leibgedingsvertrag in Kraft. Zürger hat für die Ausdinger Haag die untere Wohnung einzurichten, zuzüglich steht Haag „Plaz auf der Bühne zu Aufbewahrung allenfallsiger Efekten“ und der „nöthige[-] Plaz im Keller“ zur Verfügung. Weiter ist der „Rosine Ludwig ledig von hier“ das „Wohnrecht in dem hier verkauften Hause zu gestatten“ und die festgelegten Nahrungsmittel sind „unweigerlich und unentgeldlich in Kaufmanns guter Waare abzureichen“. Die Wäsche wird mit „der des Käufers“ gewaschen und das Brot ist mit des Käufers Brot „mitzubaken“. Bei ihrer Eheschließung am 28. Februar 1865 sind die Brautleute Georg Michael 24 ¾ Jahre und Rosine Catharina geb. Hofmann 26 Jahre alt. Von den Verkäufern Haag ist „der Mann ist 64 Jahre alt und die Frau 65 Jahre alt“. Sechs Jahre später „erfolgt“ am 15. Mai 1871 das „kinderlose Ableben“ der Ausdingerin Margarethe Barbara Haag geb. Schoch an „Herzwassersucht“. Drei Jahre später stirbt der Söldner und Totengräber Johann Michael Haag am 2. August 1874 im Alter von 74 Jahren an Herzlähmung.
Mittendrin
Am 1. Februar 1865 erhebt die Gemeinde Enslingen von Michael Zürger einen Gulden „für einen Feuer Eimer“. Am 30. Dezember 1868 erhielt der „Hirtenmeister Zürger“ seine Auslagen für Salz, Stroh und Fuhrlohn in Höhe von sechs Gulden 55 Kreuzer. Michael Zürger wird am 10. Januar 1878 mit zehn Mark „fürs Sägen u. Spalten des Holzes ins Ratszimmer“ belohnt. In diesem Jahr bricht das Unglück über die Familie herein. Am 21. April 1878 kommt das siebte Kind als „Anonymus“ (Totgeburt) zur Welt. Wenige Tage später, am 8. Mai, stirbt die Mutter im Alter von „38 Jahren 5 Monaten 26 Tagen“ „im Wochenbett“. Der Vater ist mit vier Kindern, Rosine geb. 19. Mai 1867, Anna Magdalene, geb. 20. Juni 1871, Jakob Friedrich, geb. 17. Nov. 1873 und Konrad Michael, geb. 11. April 1876 allein. Zwei ihrer Kinder, Anna Magdalena und Jakob Johann, starben bereits bald nach der Geburt 1865 und 1869. Am 10. Dezember 1878 heiratet Michael Zürger die 1850 geborene Rosine, geb. Kugler von Honhardtsweiler, Gemeinde Oberrot, OA Gaildorf. Das Paar bekommt drei Kinder, von denen Rosine Catharine am 3. Dezember 1879 und Eva Maria am 14. Februar 1882 geboren werden, der am 30. August 1880 geborene Georg lebt nur bis 5. September. Der Taglöhner Zürger kauft und tauscht Äcker, Wiesen, Rain und Öde, Steinriegel und Wechselfelder. Das Gebäude wird 1880 steuerlich auf 2.300 Mark veranschlagt. Das entspricht der zweiten Haushälfte im Besitz von Georg Michael Brazel ebenfalls 2.300 Mark. 1882 wird unter Zürger eine Null stehen. Der Anschlag des Georg Michael Brazel schnellt auf 4.600 Mark.
Verkauf der Liegenschaft
Am 28. Februar 1882 verkauft Georg Michael Zürger „seine sämtliche auf Enslingen, Gaisdorfer und Geislinger Markungen besizende Liegenschaft Markung Enslingen“ an Heium Haimann in Hall. In der Verkaufssumme von insgesamt 5.775 Mark sind neben dem 40 qm zweistockigen Wohnhaus, Stall, Streuhütte, zweibarnige Scheuer, Hofraum und die „Hälfte an einem 08 Ruthen Bakofen wovon dem Georg Michael Brazel die andere Hälfte gehört“, Acker, Wiesen und Gebüsch der Markung Enslingen, Gaisdorf und Geislingen sowie zwei Kühe und fünf Hühner. Die Milchkuh bleibt stehen und wird von dem vorhandenen Futter gefüttert bis 1. Mai 1882. Drei Pfandgläubiger wird der Käufer Heium Heimann mit Beträgen von 448 Mark 57 Pfennig, 500 Mark und 2.400 Mark zufriedenstellen . Aus zwei Haushälften wird ein ganzes Haus. Heium Heiman verkauft am 3.April 1882 „ein Gütchen“ für 1850 Gulden an Michael Brazel. Das Wohnrecht der Rosine Ludwig bleibt bestehen.
Austritt und Entlassung
17 Jahre nach dem Erwerb des Bürgerrechts durch Kauf des „Gütchen“ und Bitte um „bürgerliche Aufnahme und Heirats Erlaubnis“ endet die Ära der Familie Zürger in Enslingen. Der Austritt Zürgers aus dem Bürgerrecht erfolgt auf Grund der „Auswanderung nach Amerika im May 1882 mit seiner ganzen Familie“. Das Gesuch „um Entlassung aus der Württ. Staatsangehörigkeit“ reicht Zürger am 17. April 1882 „behufs der Auswanderung nach Nordamerika“ bei der Kgl. Regierung des Jagstkreises, das Oberamt Hall betreffend, ein. Wenige Tage darauf unterzeichnet der Regierungsrat am 21. April 1882 die Entlassungsurkunde. „Der Bittsteller und seine Familie ist evangelisch und exportiert ein Vermögen von zusammen 1100 bis 1200 Mark“, auch steht der Entlassung kein „gesetzliches Hindernis“ entgegen. Der Gedanke an eine Auswanderung dürfte Michael Zürger nicht ganz fremd gewesen sein. Bereits im Jahr 1864 ist seine 1838 geborene Tante Margarete Barbara Arnold, geb. Zürger nach Australien ausgewandert.
Es „presirt“
In Gegenwart von Michael Zürger, Pfleger Georg Schorr, Notar Dinkelacker und dem Waisengericht Enslingen wird die Abwicklung der Liegenschaft und Mitnahme des „Mutterguts“ am 28. April 1882 „in allen Theilen anerkannt“, die Familie reise „in 10 Tagen“ ab. Daraufhin bezahlt der Pfleger am 5. Mai „das ganze Pflegevermögen […] an den Vater der Kinder“ zuzüglich des „Auswanderungs- Accord für die Fahrt auf dem Schiff und Verköstigung auf demselben […]“. In der Summe ist zudem enthalten, was „der Vater für diese Kinder zu bestreiten“ habe, sowie „das Fahrgeld nach Bremen und die Verköstigung bis dahin und das Fahrgeld von New York bis Kansas und Verköstigung bis dahin“. Dieser Akt soll sich als vorschnell erweisen und zwingt den Gemeinderat zu einer Entschuldigung beim Gerichtsnotariat. Man bittet, „zu entschuldigen, wenn er ohne schlimme Absicht versäumt hat die hohe Entschließung des Amtsgerichts abzuwarten, um die Auswanderung dieser Familie nicht zu verzögern oder gar zum Schaden derselben und der Gemeinde zu vereiteln“. Es habe „presiert“, denn „wenn Zirger das Muttergut seiner Kinder nicht vor dem 8. erhalten hätte, so wäre sein Auswanderungs Accordgeld von über 600 Mark hinfällig und er ruiniert gewesen, so daß er und seine Kinder der Gemeinde zur Last gefallen wären“.
Text: Liselotte Kratochvil
Quellen:
* Gemeindearchiv Enslingen A 7/383; A 7/395; A 7/410; B 8 (Eintr. 2.2.1865); B 21 (Eintr. 7.2.1865); B 22 (Prot. v. 3.4.1882); B 86 (Bürgeraufnahmen); B 70 (summar. Steuervermögen); B 98c (Vertr. v. 7.2. 1865); B 100 (Eintr. v. 28.2.1882); R 45; R 150; R 152
* Pfarrarchiv Enslingen, Fam. Register I 57/b / Totenregister
* StaatsA Ludwigsburg E 175/5833, Auswanderungen
Abbildung:
* Gemeindearchiv Enslingen A 7/410 (Korrespondenz zwischen Amtsgericht und Gerichtsnotariat zur Auswanderung Zürger)
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