Am 25. September 1881 starb in Gailenkirchen der Bauer und Witwer Johann Georg Gottlieb Schulz. Im Zusammenhang mit der Abwicklung der Nachlassteilung bemühten sich die lokalen Behörden auch, den Verbleib seiner sechs Kinder festzustellen, die das Erwachsenenalter erreicht hatten. Während drei Töchter in der Heimat geblieben waren und in Gailenkirchen und Braunsbach lebten, hatten zwei Töchter und ein Sohn die Reise in die USA angetreten, um dort eine neue Existenz aufzubauen.
Die älteste Tochter, die 1839 geborene Johanne Friederike Barbara Schulz, hatte Gailenkirchen bereits 1859 verlassen und sich in Pittsburgh niedergelassen, das damals bereits eine von der Industrialisierung geprägte Großstadt war. Hier heiratete sie den deutschstämmigen Schuhmacher Moritz Sellin und konnte mit ihrem Mann offenbar einen gewissen Wohlstand erwerben. Sie starb 1904 kurz vor ihrem 65. Geburtstag; das Grab auf dem „Minersville Cemetery“ hat sich bis heute erhalten.
Weitaus früher endete jedoch der Lebensweg der zwei Jahre jüngeren Friederike Christine Schulz (*1841), die der Schwester Anfang 1866 nach Pittsburgh gefolgt war. Sie arbeitete nach ihrer Ankunft in der Küche einer Speisewirtschaft und heiratete noch in diesem Jahr den ebenfalls aus Deutschland stammenden Franz Gschwindt. Am 15. Januar 1867 gebar sie ihr erstes Kind, den Sohn Carl. Friederike Christine war offenbar bereits von der Schwangerschaft stark geschwächt und erholte sich von der Geburt nicht mehr. Wahrscheinlich hatte sie eine Infektion erlitten und starb am daraus resultierenden „Kindbettfieber“. Ihre letzte Ruhestätte fand sie in der „Familiengruft“ ihrer Schwester auf dem „Minersville Cemetery“, ein Grabstein existiert aber offenbar nicht mehr. Der Tod im Kindbett war bis in das späte 19. Jahrhundert ein nicht untypisches Frauenschicksal und hing mit den mangelhaften hygienischen Kenntnissen der Geburtshelfer (Ärzte, Hebammen) zusammen. Zwischen 0,5 und 1,5% der Gebärenden starben noch im 19. Jahrhundert an solchen Infektionen; bei durchschnittlich fünf bis sechs Geburten stieg für die einzelne Frau das Risiko auf rund 5% - das bedeutet, dass jede zwanzigste Frau an einer bei einer Geburt zugezogenen Infektion starb. Hinzu kam noch die Gefahr durch andere Geburtskomplikationen, denen man damals weitgehend hilflos gegenüber stand. Auch Friederike Christines Mann war kein langes Leben beschieden, denn 1881 notierte man in Gailenkirchen, dass auch er mittlerweile gestorben sei. Über das Schicksal des Sohns und numehrigen Waisen Carl, dessen Geburt seine Mutter das Leben gekostet hatte, ist bislang nur sehr wenig bekannt. Von 1888 liegt ein Schreiben vor, demzufolge er nun volljährig geworden sei und in der kleinen Ortschaft Triumph in Nebraska lebe. Weitere Nachrichten fehlen bislang.
Wenig bekannt ist auch über den jüngsten Bruder der beiden Frauen, den 1855 geborenen Johann Michael Schulz, der 1872 ebenfalls nach Amerika auswanderte. Als er zusammen mit der älteren Schwester im Zusammenhang mit der Nachlassteilung des Vaters eine notariell beglaubigte Vollmacht ausstellen ließ, lebte er in West Newton, einer knapp 40 km südwestlich von Pittsburgh gelegenen Kleinstadt. Auch hier gibt es bislang keine Nachrichten über sein weiteres Leben.
Da für Friederike Christine offenbar nie ein amtlicher Totenschein ausgestellt wurde, ein wie auch immer gearteter Beweis für ihr Ableben jedoch für die Abwicklung der Nachlassteilung ihres 1881 verstorbenen Vaters notwendig war, wissen wir genaueres über ihr Leben in Pittsburgh und ihren Tod. Als Ersatz wurden den württembergischen Behörden eidesstattliche Erklärungen einer Vermieterin und der Tochter einer weiteren Vermieterin vorgelegt, die sich in den Akten erhalten haben und die nicht nur den Tod der jungen Frau bestätigen, sondern auch einen Einblick in ihr Leben erlauben.
Eidesstattliche Erklärungen vor dem Notar Max Schamberg, 131 Smithfield St., Pittsburgh, Pennsylvania, vom 12. Dezember 1881
Es erscheint aus freien Stücken vor mir, dem unterzeichneten öffentlichen Notar am obenstehenden Tage, Monat und Jahr, die dem Namen und Stand nach wohl bekannte Wittwe Margaretha Scherer und bittet, folgendes zu Protokoll zu nehmen:
„Ich heiße Margaretha Scherer geborene Koell, ich bin 62 Jahre alt und evangelischer Confession. Ich bin gebürtig von Niederbronn, Elsass, wanderte vor ca. 36 Jahren nach Amerika aus und bin Wittwe des vor ca. 2 ½ Jahren dahier verstorbenen Steinhauers Georg Scherer.
Ad rem: Vor ca, 15 Jahren, ich glaub es war im Winter 1866, holte ich jeden Tag das Mittageßen für meine Familie und für mich aus einem in der Nähe meine Wohnung gelegenen Speisehause. In der Küche dieses Speisehauses war die damals noch ledige Friederike Christine Schulz beschäftigt und ich lernte sie daselbst kennen. Im Frühjahr des Jahres 1866 verheirathete sie sich mit Franz Geschwind. Das junge Paar zog dann in mein Haus und blieb ca. 5 oder 6 Wochen bei mir wohnen. Kurz nach ihrer Heirath fing Friederike Christine Geschwind geborene Schulz an, kränklich zu werden, doch konnte man diesem Unwohlsein keine besondere Aufmerksamkeit schenken, da sie sich in anderen Umständen befand. Als aber nach der Entbindung ihre Gesundheit sich nicht beßerte, zog sie einen Arzt zu Rathe. Sie starb ungefähr 19 Monate nach ihrer Verheirathung. Ich war bei ihrem Ableben zugegen und wohnte auch ihrem Begräbniße bei. Sie wurde auf dem Minersville Kirchhof in der Familiengruft ihres Schwagers Moritz Sellin beerdigt.“
V[or]g[elesen] u[nd] u[nterschrieben]
Margaretha Scherer geb. Güll
Gefertigt am obigen Tage
Max Schamberg, öffentlicher Notar
[...]
Es erscheint ferner bei dem unterzeichneten öffentlichen Notar ebenfalls aus freien Stücken und am nämlichen Tage die Wittwe Wilhelm Dietrich, Caroline geborene Brose, und gibt zu vernehmen:
„Ich heiße Caroline Dietrich geborene Brose , ich bin 33 Jahre alt, von Pittsburg gebürtig, evangelischer Confeßion und Wittwe des dahier vor ca. 8 Jahren verstorbenen Schuhmachers Wilhelm Dietrich.
Ad rem: Friederike Christine Geschwind geborene Schulz kam kurz nach ihrer Entbindung in das Haus meiner Eltern und mietete daselbst eine Wohnung für ihren Mann, ihr Kind und sich selbst. Ich war damals noch zu Hause und habe sie öfters, fast jeden Tag, gesehen. Sie war kränklich, mußte aber schließlich das Bett hüten. Nachdem sie ungefähr eine Woche krank im Bett gelegen [hatte], starb sie, ich glaube an der Auszehrung. Ich habe sie als Leiche gesehen kurz vor ihrer Beerdigung. Es müßen jetzt vierzehn Jahre sein, daß sie gestorben ist. Ich habe kein Intereße irgendwelcher Art an ihrer Hinterlaßenschaft.“
V[or]g[elesen] u[nd] u[nterschrieben]
Karoline Dietrich geb. Brose
Gefertigt am obigen Tage
Max Schamberg, öffentlicher Notar
[...]
Text: Daniel Stihler
Quellen:
* StadtA Schwäb. Hall 52/3322 und 58/3078
Grafik:
* Ansicht von Pittsburgh vom Monongahela River aus, Holzstich von Kilbert und Tarbell aus ".org)
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