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IMMIGRATION / EMIGRATION -

ABENTEUER SEIT HUNDERTEN VON JAHREN

Ottilie Buchshaw geb. Schmidt

1874 – einsam in New Orleans

Am 13. Juni 1874 starb in Schwäbisch Hall im Alter von nur 45 Jahren der Maler Friedrich August Theodor Schmidt, ein Sohn des Apothekers Johann David Schmid. Da er ledig geblieben war und keine eigene Familie gegründet hatte, kamen als Erben seine beiden Geschwister Ottilie und Carl Theodor Friedrich in Frage.

 

Beide hatten ihre Heimat verlassen und lebten in den USA. Carl Theodor Friedrich war 1852 oder 1853 ausgewandert und lebte 1874 in Wheeling (Ohio) Während zu ihm wenig bekannt ist, sind die Quellen zu seiner Schwester Ottilie etwas reichhaltiger. Laut einer im „Haller Tagblatt“ veröffentlichten Anzeige des Verlegers und Auswanderungsagenten Friedrich Schwend gehörte sie zu einer sechs Personen aus Schwäbisch Hall, Braunsbach und Gschwend umfassenden Auswanderergruppe, die 1854 nach New York reiste. Das Schiff, der 1853 in Marblehead vom Stapel gelaufene „Clipper“ (ein schnelles Segelschiff) „Elizabeth Kimball“, legte am 20. Mai in Le Havre ab und erreichte New York am 28. Juni 1854. Offenbar verzichtete Ottilie erst 10 Jahre später auf ihre württembergische Staatsbürgerschaft, wie eine im „Haller Tagblatt“ vom 2. März 1864 erschienene Anzeige verrät. Zu diesem Zeitpunkt scheint sie noch ledig gewesen zu sein. Die Eheschließung mit Karl oder Charles Buchshaw (oder: Buckshaw), mit dem sie 1864 in New Orleans lebte, muss also später erfolgt sein. Ihr Ehemann dürfte aus einfachen Verhältnissen gekommen sein, denn er war, wie seine aus drei Kreuzen bestehende Unterschrift verrät, „des Schreibens unerfahren.“
    

Die Geschwister scheinen in regelmäßigem Briefkontakt gestanden zu haben, wie das wohl von 1872 stammende Konzept eines Briefs von Friedrich an seine Schwester zeigt. Das (vermutlich temporäre) Ausbleiben von Post aus New Orleans beschäftigte ihn so sehr, dass er sich vorsichtshalber für etwaige Kränkungen entschuldigte. Daneben erzählte er von Neuigkeiten aus Schwäbisch Hall, erwähnte das anstehende Sängerfest und ein Feuerwehrfest und berichtete von Hochzeiten und imobiliengeschäften und dem Neubau des 1873 fertig gestellten Lyzeums und späteren Gymnasiums. Diese Art von Briefen, die für manche Auswanderer eine wichtige Verbindung in die alte Heimat darstellten, werden immer wieder erwähnt, sind aber normalerweise nicht erhalten – zumindest nicht in Deutschland. Der Brief Friedrich Schmidts ist hier eine fast einzigartige Ausnahme. Auf der Rückseite des Konzepts befinden sich Angaben zu einem Kreditgeschäft, die offenbar für seinen Nachlass relevant waren. Dank dieses Zufalls hat auch der Brief Aufnahme in die Unterlagen des Gerichtsnotariats gefunden.  
    

Carl und Ottilie erbten von ihrem verstorbenen Bruder 327 Gulden und 12½ Kreuzer. Mit der Abwicklung der Erbangelegenheit und der Transferierung des Gelds beauftragte das Gerichtsnotariat Schwäbisch Hall den Buchbinder und Gemeinderat Georg Manhard, der von den Auswanderern die dazu notwendigen Vollmachten erhielt. Von Karl ist daneben nur ein knappes Schreiben erhalten, in dem er begründet, warum er eine andere als die vorausgefüllte Vollmacht übersandt habe – der Name sei teilweise falsch gewesen und das ginge nicht. Seine Schwester hingegen hat einen längeren Brief verfasst, in dem sie sich nicht nur zu Details der Erbangelegenheit Stellung bezieht, sondern auch ein wenig über das Leben in der Metropole am Mississippi schreibt. Amerika sei seit dem Bürgerkrieg (1861-1865) nicht mehr, was es einmal war, Korruption und Diebereien nähmen überhand, und die Preise seien sehr hoch. Deutlich wird auch, wie wichtig der Emigrantin die Neuigkeiten aus der alten Heimat waren, mit denen sie bisher von ihrem Bruder versorgt worden war. Diese Briefe waren „mir immer ein Zug an die alte liebe Heimath von der ich jetzt wenig mehr erfahren werde“. Es lebten keine weiteren Haller mehr in New Orleans, von denen Neuigkeiten aus der Kocherstadt zu erfahren seien. Zum weiteren Leben Ottilie Buchshaws ist bislang nichts bekannt. Die für den 20. Juni 1885 in den Kirchenregistern von New Orleans vermerkte Eheschließung einer Ottilie Buckshaw mit August Kalber könnte sich auf eine Tochter beziehen.

 

Dokument 1: Konzept eines Briefs von Friedrich August Theodor Schmidt an seine Schwester Ottilie Buckshaw in New Orleans, undat., vermutlich von 1872 (StadtA Schwäb. Hall 18/3605)

 

Ich weiß nicht was soll es bedeuten,
daß ich so traurig bin.
Ein Märchen aus uralten Zeiten
das geht mit nicht aus dem Sinn.

Liebe Schwester
Gott zum Gruß. Mit obigem Motto ergreife ich die Feder um auch dir liebe Schwester da du gar nichts von dir hören läßt einige Zeilen zu schreiben und um dich zu fragen ob ich dich mit etwas beleidigt habe sollte dieses der Fall seyn so bitte ich dich es mir zu verzeihen und es mit nicht länger nachzutragen denn das ist allemal meine größte Freude wenn ich von dir oder von Karl einen Brief erhalte und daraus ersehen kann daß ihr alle gesund und munter seyd Der Karl hat mir auf Weihnachten geschrieben es geht ihm ihm so weit gut was ich gottlob auch von mir sagen kann denn wenn auch es manchmal trübe wird und wir meinen man müßte schon verzagen so läßt uns der liebe Gott immer wieder die Sonne Scheinen und auf Regen folgt bestimmt Sonnenschein. Dieses Jahr haben wir hier auch wieder zwey Festtage den 24 Juny ist das Liederfest des Schwäbischen Sängerbundes und im August das Feüerwehrfest wo wenn das Wetter günstig ist es an Besuchern nicht fehlen wird. Nächste Woche hat Dr Bilfingers Heinrich der jetzt Regimentszahlmeister ist in Ulm seine Hochzeit möge ihm Gott seinen Segen dazu geben. Herr Bletzinger hat kürzlich da es ihm immer an Platz fehlt das Haus des Bäcker Oesterle neben der Apotheke um 20 000 Gulden gekauft. Das Bildchen links von meinem Briefkopf stellt die neue Klasse oder wie es jetzt heist Liceum vor [= Lyceum, das 1871-1873 erbaute, heutige „Alte Gymnasium“ Gymnasiumstrasse 2]. Es ist ein schöner Bau nur schade daß er nicht besser in der Mitte der Stadt steht aber da lässt sich halt nichts machen.

 

Dokument 2: Brief von Ottilie Buchshaw geb. Schmidt aus New Orleans vom 25. Juli 1874 an Buchbinder und Gemeinderat Georg Manhard, Schwäbisch Hall (aus: StadtA Schwäb. Hall 18/3605)

 

New Orleans d. 25 Juli 1874

Werther Herr Manhard.
Am 23 d[en] Monats habe ich das Schreiben u[nd] eine Vollmacht vom Gerichtsnotariat aus Hall bekommen, worin Sie als Bevollmächtigter aufgestellt sind, in dieser Erbschaft meines verstorbenen Bruders Friedrich Schmidt, zu handeln, ich bin es zufrieden u[nd] bitte Sie höflich die Sache so gut als Sie es können zu besorgen ich werde Ihre Mühe mit Dankbarkeit anerkennen. Die Vollmacht kann ich Ihnen in ungefähr 14 Tagen zuschick[en] da augenblicklich mein Mann abwesend ist u[nd] sobald als er kommt werden wir zum Consul gehen. Auch schicke ich Ihnen die Adresse von meinem Bruder Karl Schmidt. ich habe ihm gleich geschrieben als ich die Nachricht erhielt er solle gleich nach Hall schreiben u[nd] seine Adresse deutlich mitschreiben. Ich habe am 2. Juli d[es] M[onats] auch einen Brief von Herr Reiz Schumachermeister in Hall bei dem mein l[ieber] Bruder die letzte Zeit  war erhalten, er hat mich vom Tode u[nd] den näheren Umständen seiner Krankheit in Kenntnis gesetzt, auch ist in dem Briefe bemerkt daß H[err] Reiz als er sah daß kein Aufkommen mehr ist meinen l[ieben] Bruder fragte ob er noch etwas auf dem Herzen habe, er ihm gesagt  daß der Sohn des H[err] Reiz Theodor zu welchem mein Bruder Pathe war eine Uhr von ihm zum Geschenk bekommen solle wenn er konfirmiert wird, so möcht ich gerne es haben wenn es sein kann  daß Sie es besorgen u[nd] aus dem Gelde was noch hinterlassen ist eine kaufen denn es ist der letzte Wille meines l[ieben] Bruders gewesen, ich denke mein Bruder Karl wird auch damit zufrieden sein ich habe ihm davon geschrieben. Der Tod meines l[ieben] Bruders ist mir schwer denn obgleich wir schon so lange Jahre voneinander getrennt sind u[nd] nur durch Briefwechsel zusammen sprechen konnten, so war es mir immer ein Zug an die alte liebe Heimath von der ich jetzt wenig mehr erfahren werde, denn hier in New Orleans ist niemand aus Hall ich hoffte immer ihn noch einmal zu sehen aber Gottes Wille hat es anders bestimmt wo wir uns einst jenseits wieder sehen sollen, für ihn ist es gut denn er hat auch des Lebens Bitterkeit reichlich zu schmecken bekommen. Sanft ruhe seine Asche.

Ich weiß nicht ob Sie sich noch meiner erinnern können ich kann es mir noch so dunkel vorstellen wo Sie wohnten als ich von Hall fort bin, das waren vergangenen April 20 Jahre, es ist eine lange Zeit. Ich bin auch immer kränklich u[nd] hier ist dann noch das heiße Klima ich leide immer viel am Kopf. Man hat hier auch seine Leiden u[nd] Freuden u[nd] seit dem Kriege ist Amerika nicht mehr was es vorher war, die Geschäfte gehen schlecht Betrügereien u[nd] Schwindel nimmt immer mehr zu[nd] wenn man auch viel Geld verdient so muß man auch wieder viel haben, denn alles ist sehr theuer  u[nd] wenn man nicht immer arbeitet so hat man nichts.

Ich bitte Ihnen nochmal höflich die Sache so viel es Ihnen möglich ist zu besorgen. In der Hoffnung mein Schreiben trifft Sie gesund u[nd] munter an u[nd] viele herzliche Grüße an Ihre werthe Familie u[nd] alle die sich noch meiner erinnern.
grüß Sie Achtungsvoll
Ottilie Bucksho
Meine Adresse
Mises
Ottilie Buckso
Mandeville Str. 233
New Orleans

Wir haben unsere Wohnung geändert.
Meinem Bruder Karl seine Adresse
Mr.
Charles Schmidt
care of Mises Schnepf Widow
in Wheeling
Virginien

 

Text und Transkriptionen: Margret Birk, Daniel Stihler

 

Quellen:
* StadtA Schwäb. Hall 19/991; 18/3605
* Haller Tagblatt Nr. 153 v. 07.07.1853, Nr. 166 v. 20.7.1854 u. Nr. 51 v. 2.3.1864
* Kirchenregister von New Orleans, unter www.laahgp.genealogyvillage.com/LaMarriages/orleansparishmarriages14.html
* Glenn A. Knoblock: The American Clipper Ship, 1845-1920: A Comprehensive History, with a list of builders and their ships, Jefferson 2013, S. 145, 288

 

Abbildung: Auswanderungsanzeige im „Haller Tagblatt“ Nr. 166 v. 20. Juli 1854 

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