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IMMIGRATION / EMIGRATION -

ABENTEUER SEIT HUNDERTEN VON JAHREN

Georg Heinrich Weber und seine Söhne

1877 - Bericht eines Gescheiterten

Georg Heinrich Weber wurde am 10. Mai 1820 in Waldenburg geboren. Er wurde Schmied, heiratete am 4. September 1847 Heinrike Rosine Föll aus Schwäbisch Hall und ließ sich hier nieder. Aus der Ehe stammen die beiden Söhne Reinhold, geboren 1847, und Heinrich, geboren 1849. Die auf Betreiben der Eltern zustande gekommene Ehe stand unter keinem guten Stern. Eine wesentliche Rolle dürften die wirtschaftlichen Schwierigkeiten Webers gespielt hatten, die ihn schließlich 1868 dazu zwangen, sein Haus (Im Haal 4) zu verkaufen. Als die beiden Söhne im Mai 1869 Schwäbisch Hall verließen, um in die USA auszuwandern, schloss sich Georg Weber ihnen an. Während bei seinen Söhnen höchstwahrscheinlich die Hoffnung auf bessere wirtschaftliche Chancen den Ausschlag gaben, kam bei ihrem Vater ein endgültiger und nicht mehr zu bereinigender Bruch mit der Ehefrau hinzu, die er in Schwäbisch Hall zurückließ.

 

Durch die „Gründerkrise“ und gesundheitliche Probleme gehemmt, konnte sich Weber in den USA keine gesicherte Existenz aufbauen. Hoffnungsvolle Ansätze scheiterten durch die 1873 beginnende Wirtschaftskrise („Große Depression“), durch Krankheiten und andere Schicksalsschläge. Völlig mittellos und arbeitsunfähig wurde er im September 1876 in ein Hospital in San Leandro nahe San Francisco aufgenommen und starb dort am 29. Juli 1878. 1877 schrieb Weber einen langen Brief an seinen Schwager, der den Charakter einer abschließenden Bilanz hat und wohl nicht zuletzt der Selbstrechtfertigung gegenüber diesem und vielleicht auch der Ehefrau diente. Mit seiner drastischen und ungeschminkten Darstellung des wirtschaftlichen Scheiterns dürfte er sehr selten sein. Das neunseitige Schreiben, dessen Schluss fehlt, hat sich in der Nachlassakte der seiner Witwe im Stadtarchiv Schwäbisch Hall erhalten.

 

Der jüngere Sohn Heinrich arbeitete zunächst in Pennsylvania, später in Illinois als Schlosser, verließ seine letzte Stelle 1876 und reiste nach Texas. Sein weiteres Schicksal ist nicht bekannt. Das letzte erhaltene direkte Lebenszeichen ist ein Brief aus Allegheny (Pennsylvania) an seinen Vater, den er 1869 schrieb (Dokument 2). Da ein direkter Beleg für seinen Tod fehlte, wurde der ihm 1894 zugefallene Anteil am mütterlichen Vermögen in Schwäbisch Hall unter der Pflegschaft des Kaufmanns Adolf Chur verwaltet, bis Heinrich vom Haller Amtsgericht 1902 für tot erklärt wurde. Das nun 2697,54 Mark umfassende Erbe fiel an den Bruder Reinhold.

 

Dieser hatte zunächst ebenfalls große wirtschaftliche Schwierigkeiten. 1869 arbeitete er bei einem Farmer in Pennsylvania und ging dann nach St. Louis, wo er mit einem Hausierhandel scheiterte. 1875 erwarb er eine Hühnerfarm in Kalifornien, musste diese aber ebenfalls wieder aufgeben und sich mit Gelegenheitsjobs durchschlagen. 1882 ließ er sich in Santa Maria (Santa Barbara County, Kalifornien) an der Küste des Pazifik nieder und scheint sich hier eine Existenz aufgebaut zu haben. 1884 heiratete er Rose Elise Weber (*1856), offenbar eine gebürtige Schweizerin, die 1883 in die USA gekommen war. Das Paar hatte vier Kinder, Carl (*1885), Rose Elise (*1887), Reinhold jr. (*1890) und Otto (*1891). Ein Brief von 1890 (Dokument 3) schildert seine damalige Situation. Reinhold scheint der einzige der drei Auswanderer gewesen zu sein, der zumindest sporadisch die Beziehung zu Mutter aufrecht erhielt, meinte aber 1894 selbst, dass er sie in den letzten Jahren "sehr vernachlässigt" habe. Dagegen war der Kontakt zum Vater und zum Bruder abgebrochen, Reinhold wusste weder, dass sein Vater seit 1878 nicht mehr lebte, noch, was aus Heinrich geworden war (Dokument 4). Die Erbschaft von der Mutter kam angesichts gesundheitlicher Schwierigkeiten, einer kranken Frau und nunmehr vier Kindern offenbar im rechten Moment, um erneute wirtschaftliche Probleme Reinhold Webers zu überbrücken (Dokument 5).  Reinhold zögerte anfangs, einen Bevollmächtigten zu benennen, da er die vorgeschlagenen Personen nicht kenne. Nach einigem Hin und Her scheint er aber in den Besitz des ihm zustehenden Erbteils von 2979 Mark gekommen zu sein. Nachdem sein Bruder Heinrich 1902 für tot erklärt worden war, bekam er über seinen Bevollmächtigten, den Kaufmann Adolf Stützner in Schwäbisch Hall, auch dessen bisher treuhänderisch verwaltetes Vermögen von 2754,46 Mark. Eine Reihe von amerikanischen Dokumenten geben weitere Hinweise auf sein Leben. Einem Wählerverzeichnis von 1896 zufolge war er erst in diesem Jahr eingebürgert worden und verdiente seinen Lebensunterhalt als Kaufmann. Die Censusliste von 1900 nennt bei seinem Beruf "hardware", vermutlich handelte er also mit Eisenwaren. In der Liste von 1910 wird er als "plummer"  (plumber = Installateur) bezeichnet, der seinen eigenen Laden - zusammen mit dem Sohn Reinhold jr. - betreibe. Ab 1911 hielt sich Reinhold Weber in Santa Barbara im dortigen "County Hospital" auf, wo er am 18. Oktober 1912 nach mehrmonatiger Krankheit starb. Ein Nachruf in der Lokalzeitung "The Morning Press" bezeichnet ihn als "pioneer resident of Santa Maria". Seine Witwe Rose Elise Weber erreichte ein hohes Alter und starb am 13. Oktober 1931 in Santa Maria.

 

Dokument 1: Brief Heinrich Webers an seinen Schwager Heinrich Föll aus San Leandro von 1877


San Leandro, Alameda Co[unty]  
Hospital d[en] 19. Jan[uar] 1877

Lieber Schwager Heinrich!

Nach langem schweren Kampfe habe ich mich endlich doch entschlossen, etwas von mir höhren zu lassen, und da ich versichert bin u[nd] weiß, daß Du es gut mit mir meinst u[nd] mich nicht verkennen wirst, so wende ich mich auch nur einzig u[nd] allein an Dich. Ich war entschlossen, so lange es mir schlecht oder wenigstens nicht gut geht, nicht mehr nach Deutschland zu schreiben, da ich auf den ersten u[nd] letzten Brief an meine Frau eine herzlose Antwort als Dank für die 50 $ welche ich ihr im 2ten Jahre schickte, erhalten habe.
Ich hätte auch jetzt noch nicht geschrieben, wenn ich noch irgendwelche Hoffnung hätte, daß es mir noch gut gehen werde, nun ich aber meinen baldigen Tod vor Augen sehe, indem meine Herzkranckheit in einem solchen Grade zugenommen hat, daß ich jeden Tag einen schnellen Tod durch Lungenlähmung erwarten muß, so sollst wenigstens Du als mein einzig wahrer Freund wissen, wo ich geblieben bin. Schon seit Jahren hatte ich häufige Erstickungsanfälle u[nd] war, nachdem ich vor 2 Jahren in St. Louis, Missouri  mehrere Ärzte consultirte u[nd] 1 ganzes Jahr nicht arbeiten konnte u[nd] mehre[re] 100 Dollar, welche ich erspart hatte, darauf gegangen waren, noch 3 ½ Monate im Hospital war, u[nd] da der Reinhold mir schrieb, ich solle zu ihm nach Californien kommen, riethen mir auch die Ärzte an, daß das dortige Clima das einzige Mittel noch für mich sey. Nachdem mir der Heinrich, welcher im Staate Illinois war, mir einen Beytrag zum Reisegeld, welches 56 Dollar kostete, gegeben, reißte ich im April vor[igen] Jahres hierher nach Californien u[nd] war 11 Tage u[nd] Nächte auf der Reise, 2000 engl[ische] Meilen durch die Staaten Missouri, Kansas, Iowa, Nebreska, Wyoming, Coloreda, Utha, Nevada u[nd] Californien am großen Ocean u[nd] suchte den Reinhold welcher 6 engl[ische] Meilen von Redwood City im Walde einen Hühnerrensch  gepachtet hatte.
Ich hoffte nun, einen Ruhepunkt erhalten zu haben, zudem ich zu meinem alten Bruch, welcher sich ohne dieß vielmehr verschlimmert hatte, in St. Louis durch schweres Tragen einen 2ten bekam u[nd] schon dieser wegen, abgesehen von dem schweren Asthma, an welchem ich litt, keine schwereren Arbeiten mehr verrichten im Stande war. Ich habe mich aber schwer getäuscht in meinem in diesem Sohn, statt [dass] er mir eine Kinder Liebe entgegen brachte, behandelte er mich roh, ich konnte ihm nichts recht machen, obgleich ich ängstlich bemüht war, alles, was in meinen Kräften war, für ihn zu thun.
Eines Abends am 3ten Tage meines Aufenthalts bey ihm wollte er nachts noch einige Bruthennen setzen und mussten solche mit der Laterne erst aus dem Stalle ins Haus geholt werden. Ich leuchtete u[nd] als er mir eine Henne gab, verlöschte die Lampe u[nd] ich wollte schnell ins Haus zurück, um dieselbe wieder anzuzünden, auf dem Weg dahin fiel ich über einen harten Erdenhaufen, beym Aufstehen fühlte ich einen heftigen Schmerzen in der rechten Brustseite, ich achtete aber nicht sehr darauf, u[nd] die Schmerzen vergingen auch am anderen Tag etwas, es war Sonntag, wo er den Knecht, dessen Stelle ich nun einnehmen sollte, fortschickte, ich mußte kochen, was ich allerdings schlecht genug verstand, u[nd] konnte ihm nicht nach seinem Geschmacke kochen, das eine Mal zu wenig oder zu viel gesalzen, zu hart oder zu weich, der Tadel war aber so schamlos u[nd] beleidigend, von einem freundlichen Wort oder Miene keine Rede, von keinem Fremden wurde ich je auf eine so unfreundliche Weise behandelt, im Gegentheil, alle Menschen mit welchen ich in Berührung kam, behandelten mich freundlich u[nd] achtungsvoll. Am Montag habe ich ihm seine sehr schmutzige Wäsche gewaschen, so daß meine Finger wund wurden, aber keine Anerkennung, kein freundliches Gesicht, kein gute Wort, am Dienstag reparirte ich an seinem Wagen, da wollte er alles besser wissen u[nd] behandelte mich auf eine so brutalle Weise, daß mir die Gedult ausgieng u[nd] [ich] meine Kleider zusammen packte u[nd] ohne vorher etwas zu essen fort gieng, indem ich ihm sagte, daß ich ihm für sein mir versprochenes Heim danke u[nd] lieber auf der Strasse verhungern wolle, als unter solcher Behandlung bey ihm zu bleiben. Ohn einen Cent Geld machte ich mich auf den Weg nach Redwood City zurück u[nd] da ich gegen 5 Uhr abends ankam, ohne zu wissen, wo ich übernachten sollte.
Dem Wirthe, bey welchem ich 5 Tage früher Reinhold erwartet, erzählte ich, wie ich von meinem Sohn behandelt wurde, da kam ein County  Beamter, dazu, welcher mit zuhörte u[nd] daß ich Arbeit suchte. Er sagte, er habe auf eine Woche Arbeit, wenn ich es thun wolle u[nd] gab mir zugleich einen Thaler , um übernachten zu können, den anderen Tag fing ich bey ihm an als Bauschreiner, indem ich einen Küchenraum vergrößerte, einen Boden legte , eine kurze Treppe, 2 Thüren etc etc. machten meine Schmerzen in der Brust, so viel mir möglich überwindend, aber am 5ten Tage konnte ich es nicht mehr aushalten, konnte mich nicht mehr bücken ohne die stechendsten Schmerzen zu erleiden, u[nd] sagte dem Herrn das, worauf er sogleich selbst zum Arzte gieng u[nd] mich heim schickte in’s Rahthaus. Als der Arzt bald darauf kam u[nd] mich untersuchte, erklärte derselbe, daß eine Rippe gebrochen sey u[nd] schickte mich ins Hospital, wo ich 4 Wochen verweilte u[nd] mich dann bey den Schmieden nach Arbeit umsah. Als ich im Hospital war, besuchte mich der Herr Sohn, erklärte aber zugleich, daß er nichts für mich thun könne, was ich recht wohl wußte, da derselbe nichts hatte u[nd] seine Hühnerspeculation dasselbe Resultat hatte wie früher sein Haußirhandel in St. Louis, wo in 4 Wochen 300 $ verhaußirt waren.
Ich war also wieder rein auf mich angewiesen u[nd] wenn ich Arbeit gefunden hätte, wäre alles gut gewesen, denn ich fühlte mich wieder ziemlich wohl, ein Schiffer nahm mich umsonst mit nach San Francisco, wo ich hoffte, Beschäftigung zu finden, aber das war unmöglich, denn es sind durch die schlechten Zeiten seit 1873, in welcher alle Geschäfte stocken, so viele aus den anderen Staaten nach Californien gereißt, daß 1000de arbeitslose Menschen sich hier befinden, daß ich keine Aussichten hatte, irgend eine Beschäftigung zu finden, kurz, es ging mir so schlecht, daß mich wie so viele andere die Verzweiflung ergriff u[nd] meinem Leben wie hier so viele gewaltsam ein Ende zu machen, aber mein besseres Selbst hielt mich noch aufrecht, u[nd] man sollte nicht sagen können, ich hätte muthlos den Kampf ums Leben feigerweise aufgegeben. Ich ermannte mich u[nd] kämpfte weiter u[nd] Gott hat mich nicht verlassen, indem er mir gute Menschen zuführte u[nd] [ich] gute Arbeit fand. Als ich eines Sonntags zu dem deutschen Kosthauswirth (Wilhelm Fellhaus) kam, erzählte ich demselben, wie mich mein Sohn behandelt hat, u[nd] erfuhr von ihm, daß Reinhold seine Hühner etc. etc. verkauft habe u[nd] sich gegenwärtig bey ihm aufhalte u[nd] gesagt habe, ich sey nur sein Stiefvater! Dies fehlte noch, um mein Kind gänzlich aus dem Herzen zu reißen, u[nd] ihn ganz zu verachten. Von da an weiß ich nichts mehr von ihm, dies war Ende August 76, und ich arbeitete bei bey 2 deutschen Schlossern, welche eiserne Garten-Umzäunungen, Altanen etc. etc. machten, in Oakland, einer neuen, schönen Stadt gegenüber v[on] San Francisco über der Bai.
Mein Glück dauerte jedoch nicht lange, denn nach kaum 4wöchentlicher Arbeit, obgleich dieselbe nicht sehr schwer war, musste ich wider aufhören, indem mir häufig der Atem auszugehen drohte u[nd] heftige Schmerzen in der Brust, besonders am Herzen bekam, ich musste jeden Augenblick mich setzen u[nd] nach Luft schnappen, um nicht zu ersticken, wozu sich der heftige Husten, an welchem ich schon 2 Jahre beständig leide, gesellte u[nd] dadurch mein Bruch sich herausdrängte, daß ich ihn oft nicht zurückschaffen konnte u[nd] schon öfters in St. Louis ärztliche Hilfe anrufen mußte, u[nd] so mußte ich denn wieder mit nur wenigen Thalern meine Stelle verlassen u[nd] hielt mich, so lang meine Mittel reichten, im Kosthause auf. Anstatt daß Besserung eintrat, wurde ich immer kränker, so daß mein Kostwirth befürchtete, ich könnte in kurzem in seinem Hause sterben. Er gieng deßhalb zu dem betreffenden Beamten, um die Aufnahme in das hieß[igen] Hospital zu bewirken, u[nd] bin nun seit 28. September u[nd] sehr gut aufgehoben u[nd] verpflegt, so gut als in irgend einem deutschen Krankenhaus.
So viel von mir und meiner gegenwärtigen Lage, nun auch einiges von der Vergangenheit u[nd] wie die Zustände in Amerika überhaupt sind. Bis vor 1873 war es noch ziemlich gut u[nd] überall lohnende Beschäftigung, da auf einmal kam eine Crisis, sämmtliche Banken stellten ihre Zahlungen ein, unzählige großartige Bancrotte brachen aus, u[nd] sofort standen alle großen Geschäfte still und entliesen bis auf ein Minimum ihre Arbeiter, so auch das Geschäft in St. Louis, wo ich schon über 2 Jahre arbeitete u[nd] ich schon 100erte von Omnibussen u[nd] Straßeneisenbahnwagen so wie alle Arten von Wagen feinerer Gattung mit verfertigt u[nd] 11 [Schmiede-]Feuer im Gange waren, mußten die meisten Arbeiter weggeschickt werden, u[nd] wurden nach u[nd] nach 7 Feuer stillgestellt u[nd] selbst wir übrigen mußten bis auf den Vorarbeiter 3 Monate feiern u[nd] später nur 9 Stunden per Tag arbeiten, immer in der Hoffnung, daß es bald wieder besser werden würde. Aber statt dass eine Besserung eintrat, wurde es immer noch schlechter, daran war einestheils die schlechte Regierung u[nd] auch eine gewisse Über-Production daran schuld, die Regierungsbeamten, von Minister stahlen, u[nd] zwar im Einverständniß des Präsidenten, an abwärts durch alle Stellen, Millionen, ohne alle Scham u[nd] Bestrafung, u[nd] so wurde das Vertrauen in gesicherte Zustände gestört.
Ich kann Dir natürlich nicht alles schreiben, wie ich es gerne möchte, der Raum ist hierzu zu beschränkt, ich werde aber, was Interesse für meinen Heinrich und überhaupt meine Familie hat, aufschreiben u[nd] Sorge dafür tragen, daß es nach meinem Tode in deren Hände gelangt, woraus vielleicht auch meine Frau, Deine Schwester, ersehen wird, daß Sie mir in vielem sehr Unrecht gethan hat, namentlich aber, dass sie mir, was ihre Eifersucht anbelangte, dieselbe eine vollkommen ungerechtfertigte war, das schwöre ich im Angesicht meines Todes. Ob meine Frau wohl, wenn sie das Vater Unser betet, die 5te Bitte darin auslässt oder nichts dabey denkt? Ich für meinen Theil bitte Gott täglich, er möge mir meine Sünden vergeben, wie auch ich allen meinen Beleidigern vergeben habe.
Wo Heinrich sich befindet, weiß ich ebenfalls nicht, ich schrieb im Laufe dieses Sommers nach Carlinville, Illinois , wo er 3 Jahre war, an ihn, erhielt aber keine Antwort, später schrieb ich an seinen Meister, welcher mir berichtete, daß Heinrich im Oktober v[origen] J[ahres] von ihm fort sey u[nd] wie er gesagt habe, nach Texas, im äußersten Süden an Mexico angrenzend, zu reisen beabsichtigend. Texas ist ca. 1600 engl[ische] Meilen von hier u[nd] überhaupt so weit von New York entfernt wie Californien, d[as] heißt 3300 engl[ische] Meilen.
Nota bene, ich war von Dayton, Ohio , wo ich in einer Acrikultur-Maschinenfactorie  eine Zeit lang arbeitete , 20 Meilen von dort nach Troi Ohio  recomandirt  u[nd] arbeitete für einen Wagner dessen Bruder ein Schmied aus dem Geschäft getretten ist, an dessen Stelle ich kam. Nachdem ich 100 Thaler von ihm gut hatte, ließ er nicht nach, bis ich mit ihm in Partnersipp , d.h. in Compagnie mit ihm eintrat, u[nd] das hätte ich unterlassen sollen, ich wurde von ihm wieder um alles betrogen u[nd] brachte kaum das Reisegeld nach St. Louis davon, das Nähere darüber würde zu viel Raum einnehmen u[nd] hat nun auch kein Interesse mehr. Wäre ich gesund geblieben, so könnte ich trotz den schlechten Geschäftszeiten immerhin 5 bis 600 Dollar besitzen. Während meiner längeren Krankheit in St. Louis wurden mir während ich schlief der Kofferschlüssel aus der Tasche gezogen u[nd] 50 Doll[ar] aus dem Koffer gestohlen u[nd] erst eine Woche später als ich nachsah fand ich, daß mit dem Verschwinden eines Zimmer Collegen, ein Stuttgarter, mit dem Verschwinden meines Geldes zusammen hieng.
Wie ich vor ungefähr 2 Jahren in den Zeitungen gelesen, ist Schmied Rüger, Wagner Wahl, Sattler Haspel, Bäcker Karl Hasenmeier, lauter junge Männer, sowie Fabrikant Karl Kirchdörfer, u[nd] mehr andere, in Hall gestorben.
Meiner Frau geht es gut, soviel ich weiß, was noch der einzige Trost ist, in meiner Verlassenheit, welche ich einigermassen, wenn auch nicht von meinen Kindern, verdient habe. Grüße sie in meinem Namen u[nd] ich lasse ihr noch viel Glück, Gesundheit u[nd] Zufriedenheit wünschen, u[nd] bitte sie, mir alles, was sie durch mich gelitten hat, zu verzeihen, wie ich auch ihr alle Ungerechtigkeiten u[nd] ihren schweren kränkenden Verdacht der Untreue aufrichtig vergebe. Wir hätten von unseren Eltern nicht zusammen gekuppelt werden sollen, da unsere Caractere zu sehr verschieden waren.
Hier gibt es keinen Winter, im Gegentheil ist es fast immer Frühlingswetter, es blühen die Blumen das ganze Jahr. Der immer heitere Himmel ist in den Wintermonaten einige Zeit mit Regenwolken bedeckt u[nd] sanfter Regen feuchtet die Erde, dagegen ¾ Jahr keinen Tropfen Regen, kein Gewitter, nur jede Nacht starker Tau, u[nd] doch wächst alles in schönster Pracht u[nd] der größten Vollkommenheit, immer kühle Luft, des Sommers nie eigentliche Hitze überhaupt. Überhaupt ist Californien ein paradiesisches Land, aber die Menschen von allen Nationen der Erde u[nd] namentlich die Chinesen sind die Teufel, aller Auswurf hat sich hier angesammelt. [Brief bricht ab].

 

Dokument 2: Brief Heinrich Webers an seinen Vater Georg Weber aus Allegheny (Pennsylvania) von 1869

 

Allegheni den 26. Juli 1869

Lieber Vater!
Deinen Brief habe ich erhalten u. es hat mich herzlich gefreut daß du Arbeit bekommen hast. Ich kann dir Erfreuliches schreiben nemlich daß ich seid 14 Tagen Arbeit habe auf meiner Profession u. gesund und wohl auf bin u. soviel ich weiß der Reinhold auch; der Reinhold ist noch bei dem englischen Farmer, ich habe Ihn sei[t]dem er weg  ist von uns noch nicht getroffen, aber der Baarkeeper vom Baurschen Hof sagte mir, der Farmer sei schon ein paar mal da gewesen u. habe gesagt, Reinhold wäre wie ein eigener Sohn u. es gefalle ihm sehr gut. Ich habe eine gute Werkstätte erhalten wo ich etwas lernen kann. Der Lohn ist freilich im Anfang etwas gering, ich habe Boarding beim Meister, welcher ein Wagner ist, wir sind blos unser 2 Schmied, kommen sehr gut miteinander aus, ich werde dir später noch neues schreiben wenn ich weitere Nachricht von dir erhalten habe.
Dein ergebener Sohn
Heinrich Weber

Die Adresse ist zu richten
Heinrich Weber
care Mstr. Stultz O'Hare Street
Allegheni City

 

Dokument 3: Brief von Reinhold Weber aus Santa Ynez (California) an Dr. Johann Sigmund Di Centa in Schwäbisch Hall, 1890

 

Santa Inez May 2/1890

Herrn Dr. Dicenta

Werther Herr,

Nachem ich in den letzten Jahren verschiedene Briefe unter Ihrer Adresse an meine Mutter abeschickt habe, und keine Antwort bekam, ergreife ich nochmals die Feder und bitte Sie gefälligst mich zu benachrichtigen, ob meine liebe alte Mutter noch am Leben ist und wie es ihr geht. Ich habe mich vor acht Jahren in Santa Maria California niedergelassen, bin seit sechs Jahren verheirathet u. habe eine Familie von drei Kindern, zwei Knaben und ein Mädchen. Es sind nun bald acht Jahre seitdem ich den letzten Brief von meiner lieben Mutter erhalten habe u. lässt es sich leicht begreifen, daß ich gerne etwas von ihr hören möchte. Bitte sie freundschaftlich mein Schreiben so bald als thunlich zu beantworten und meine Mutter herzlich von mir zu grüßen, denn ich hoffe, und kann mich nicht mit dem Gedanken vertraut machen daß sie nicht mehr unter den Lebenden weile.
Achtungsvollst grüßend und das Beste hoffend
Ihr ergebener Reinhold Weber,
Santa Maria
California

 
Dokument 4: Brief von Reinhold Weber an das Waisengericht der Stadt Schwäbisch Hall, 1894

 

Santa Maria Sept. 10/94

Wohllöbliches Waisengericht der Stadt Hall

Geehrte Herren!
Etwa 6 Wochen zurück erhielt ich die mich sehr betrübende Nachricht durch einen Beamten der Cincinnati German National Bank von dem Todte meiner geliebten (u. Leider von mir in den letzten Jahren sehr vernachlässigten [)] Mutter. Aus dem vorliegenden Schreiben des Cinncinnati Bankbeamten ersehe ich, daß der Aufenthaltsort meines Vaters u. Bruders Heinrich Ihnen (und leider auch mir selbst) unbekannt ist.
Meinen Bruder Heinrich habe ich das letzte Mal im Januar des Jahres 1875 in der kleinen Stadt Carlinville im Staat Illinois gesehen. Ich war zur selben Zeit auf der Reise u. mein Ziel war San Francisco Californien Kurz nach meiner Ankunft in obiger Stadt wechselte ich einige Briefe mit meinem Bruder u. habe nun in bald 20 Jahren nichts mehr von ihm gehört. Den Vater Georg Weber habe ich zuletzt im Jahr 1876 in San Francisco gesehen.
Ich habe in diesen langen Jahren mehrere Versuche gemacht, etwas über meinen Vater u. Bruder in Erfahrung zu bringen, aber leider ohne den geringsten Erfolg. Meiner Ansicht nach wäre es das beste, den gewöhnlichen Weg zu betreten, das heißt den deutschen Consul in San Francisco mit der Sache zu betrauen u. einen Aufruf in den gelesensten deutschen Zeitungen der 3 Städte San Francisco, Saint Louis und Chicago ergehen zu lassen. Herr F. Matt vom Corespondent von Cincinnati schrieb mir, mein Vater wäre im Jahr 1877 in San Leandro (ein kleines Städtchen in Nähe San Francisco) krank gelegen u. währe wohl nicht mehr am Leben.
Es ist möglich das mein Vater, mit meinem Bruder Heinrich, als er im Jahre 1877 in San Leandro im Spital lag, Briefe gewechselt hat. Ich hoffe mein Bruder befindet sich noch unter den Lebenden, von  einem Vater kann ich dasselbe wohl kaum annehmen. Sollte mein Bruder einem Aufruf in den Zeitungen, sich zu melden, Folge leisten, so könnte öglicherweise etwas durch ihn über den Verbleib des Vaters in Erfahrung gebracht werden. Ich möchte sie werthe Herren nun bitten mit mir zu correspondiren um Ihre Anschauung über die Angelegenheit zu hören und das weitere berathen zu können.
Herr F. Matt von der Cincinnati Bank schrieb mir in einem zweiten und letzten Briefe daß er nach San Leandro Californien u. auch nach Carlinville Illinoiis beschrieben hätte u. nichts in beiden Plätzen, über meinen Vater oder Bruder in Erfahrung bringen konnte. Ich könnte möglicherweise persönlich etwas über den Verbleib meines Vaters in Erfahrung bringen, indeß mein Wohnort ist etliche 300 Meilen von San Leandro entfernt u. Ich habe eine kränkliche Frau u. 4 Kinder zu ernähren u. [es] kostet ziemlich Geld in Californien zu reisen.
In Erwartung Ihrer baldigen werthen Antwort zeichne ich mit Hochachtung Ihr ergebenster Reinhold Weber.
Adresse
Santa Maria
Santa Barbara County
California

 
Dokument 5: Brief von Reinhold Weber aus Santa Maria (California) an das Stadtschultheißenamt Schwäbisch Hall, 1894
 

Santa Maria, Cal., Dec. 30th 1894

Verehrter Herr Stadtschultheiß!

Im Juli des letzten Sommers erhielt ich per Post ein Schreiben, (dem Umschlag u. der Unterschriften nach zu ertheilen) vom Kassirer der German National Bank in Cincinnati herrührend. In demselben wurde mir bekannt gemacht, daß meine geliebte Mutter Rosina Weber im Monat April 1894 in der Stadt Hall gestorben wäre. Es wurde bemerkt, man hätte meine Adresse aus einem im Jahre 1890 von mir an meine Mutter geschriebenen, respective an Herrn Dr. Dicenta adressirten Brief erfahren. Ich habe nun seit der ersten Zuschrift, mit meinem Correspondenten von Cincinnati einige Briefe gewechselt. Im ersten Schreiben wurde angefragt, ob mir etwas über den Aufenthaltsort meines Vaters, oder Bruder Heinrichs bekannt wäre. Ich erklärte, daß ich das letztemal im Winter 74 zu 75 mit meinem Bruder in Carlinville einer kleinen Stadt im Staate Illinois zusammen traf u. seitdem nichts mehr von ihm gehört hätte u. der Vater seit 1876 für mich verschollen wäre.
Es gelang schließlich meinem Correspondenten in Cincinnati, in Erfahrung zu bringen, daß der Vater schon vor jahren in dem Orte San Leandro in Californien gestorben wäre. Von meinem Bruder Heinrich hat er jedoch, wie er mir schrieb, bis jetzt noch nichts gehört. Ich habe nun, eine mit von dem Cincinnati-Mann zugeschickte Vollmacht in Händen, die ich mit meiner u. der Unterschrift des betreffenden Beamten versehen, ihm zurückschicken sollte. Ich nahm jedoch Anstand, dieselbe mit meinem Namen zu versehen, denn der Name meines etwaigen unumschränkten Bevollmächtigten war in dem Dokument nicht zu ersehen. Es sind nun einige Monate verflossen, seitdem ich ein Schreiben an die Waisengerichtsbehörde der Stadt Hall abgeschickt habe, habe jedoch leider bis jetzt noch keine Antwort erhalten. Ich erwartete natürlicherweise, indem ja meine Adresse aus meinem vorgefundenen Brief bekannt war, direkt von meiner Heimatbehörde, von dem Todte meiner Mutter in Kentniß gesetzt zu werden u. kann mir nicht erklären, was die Ursache, weßwegen mein Schreiben an das Waisengericht nicht beantwortet wird. Ich habe eine kränkliche Frau u. vier unmündige Kinder bin selbst verkrüppelt u. habe gegenwärtig nur schwachen Verdienst u. wenn ich in Bezug eines mir und meiner Famielie zukommenden Erbtheils meiner verstorbenen Mutter, etwas vorsichtig zuwerke gehe, so kann man mich, wie ich glaube, deßwegen nicht tadeln. Werther Herr Stadtschultheiß, ich wende mich in dieser für mich wichtigen Sache an Sie um Rath u. Beistand, und möchte sie höflichst gebeten haben, die Waisengerichtsbehörde von dem Stand meiner Angelegenheit in Kentniß zu setzen u. bin ich mit Vergnügen bereit, Sie für etwaige dißbezügliche Bemühungen vollkommen zu entschädigen. In der Hoffnung, nicht zuviel von Ihnen verlangt zu haben, zeichne ich mit aller Hochachtung
Reinhold Weber
Adresse Santa Maria
Santa Barbara County
California

 

Quelle: Stadtarchiv Schwäbisch Hall 18/7922 (Realteilung Rosine Weber); 39/548 (Vermögensverwaltung für Heinrich Weber); Mitteilungen von Stacy Cameron (Nachfahrin von Carl Weber) und Helen Rydell (Santa Barbara County Genealogical Society)

 

Abbildung: Beginn des Briefs von Georg David Weber, Stadtarchiv Schwäbisch Hall

Transkriptionen: Margret Birk, Daniel Stihler

Literatur: Daniel Stihler: "Mein Glück dauerte jedoch nicht lange": Georg David Weber, ein gescheiterter Haller Auswanderer in den USA, in: Württembergisch Franken 87 (2003), S. 175-186

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